Geimpft oder nicht geimpft gegen Corona? Verantwortungslos, sich dagegen zu entscheiden, oder ein gutes Recht? Und wie umgehen mit denjenigen, die auf diesem Recht beharren?
Brisantes Doppelspiel eines Sportgiganten
Es sind große gesellschaftliche Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Ihre Klärung kann zu unangenehmen Situationen führen - und einer der berühmtesten Sportstars der Welt steuert deshalb gerade auf eine zu.
Ausnahme-Tennisspieler und Impfskeptiker Novak Djokovic muss sich bald entscheiden, wie er mit den rigiden Restriktionen rund um das erste Grand-Slam-Turnier des kommenden Jahres umgeht.
Lässt er sich impfen, um die Einreiseerlaubnis zu erhalten - nun wo sich durch klare Statements hochrangiger Politiker abzeichnet, dass es in dieser Hinsicht für die Sportstars keine Ausnahme geben wird? Tut er es nicht und schreibt für seine Überzeugung die Titelverteidigung und damit auch gleich die Grand-Slam-Chance für 2022 ab?
Oder liegt der Fall womöglich ganz anders, als er auf den ersten Blick erscheint? (NEWS: Alles zum Tennis)
Doppelte Impfung Voraussetzung für Australian Open
Djokovic, dessen Umgang mit der Pandemie - Stichwort: Adria-Tour - schon im vergangenen Jahr hohe Wellen schlug, hat sich in der Vergangenheit als Verfechter alternativer Medizin und eingefleischter Impfskeptiker präsentiert.
„Ich bin gegen eine Impfung und möchte nicht, dass mich jemand zwingt, einen Impfstoff einzunehmen, um reisen zu können. Ich möchte darüber entscheiden, was für meinen Körper am besten ist“, erklärte der Tennis-Star im Frühling 2020, vor seiner eigenen Corona-Erkrankung einige Monate später.
Unter großer öffentlicher Anteilnahme ruderte Djokovic dann aber zurück und sprach davon, er habe lediglich seine Sicht der Dinge dargelegt und wolle schlicht selbst entscheiden, was gut für seinen Körper sei. Der 20-fache Grand-Slam-Sieger erklärte seinen Impfstatus zur Privatsache.
Bei dieser Linie ist er bis heute geblieben, beantwortete erst jüngst eine Medienanfrage aus der Heimat, dass es sich nicht gehöre, diese Frage zu stellen und andere für ihre Haltung zum Impfthema zu verurteilen.
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Eine Wendung, die aufhorchen ließ - und die Frage aufwarf, was dahintersteckt.
Impfskepsis in Djokovic‘ Heimat Serbien ist massiv
Man muss wissen: In seiner Heimat wurden Djokovic‘ Einlassungen anders bewertet als hierzulande und in anderen westlichen Regionen.
Impfskepsis, die oft auf Verschwörungstheorien basiert, ist in Serbien (aktuelle Quote mindestens einmal Geimpfter: 44,4 Prozent) überdurchschnittlich weit verbreitet. Eine Umfrage aus dem Frühjahr offenbarte, dass das Land quasi zu gleichen Teilen aus einem Drittel Impfbefürworter, einem Drittel Unentschlossener und einem Drittel entschiedener Impfgegner besteht.
Djokovic genießt in diesen oft nationalistisch gesinnten Kreisen viel Zustimmung für sein auch von Vater Srdjan gepflegtes Image eines aufrechten Mannes, der sich von „dem Westen“ nichts sagen lässt - zum Beispiel auch nicht, was er für Medizin in seinen Körper tun soll.
Pikante Spekulationen um Foto aus New York
Für Djokovic ist es ein spürbarer Balanceakt, diese Erwartungen in Einklang zu bringen mit denen der weltweiten Mainstream-Öffentlichkeit (und seiner Mainstream-Geschäftspartner).
Das Doppelspiel, das Djokovic aktuell spielt, gerät durch die Situation rund um die Australian Open jedoch ins Wanken: Djokovic ist gezwungen, Licht ins Dunkle bezüglich seines Impfstatus zu bringen, wenn er in Melbourne antreten will.
Rund um diesen Status gibt es zum Teil kuriose Spekulationen. Vor einigen Wochen etwa fand vor allem auch in Australien eine Diskussion Beachtung, die er auslöste, als er um Umfeld der US Open auf einem Konzert im Central Park in New York fotografiert wurde.
Das Besondere dabei: Zutritt zu dieser Veranstaltung hatten nur geimpfte Personen. Das Foto scheint also entweder zu belegen, dass Djokovic geimpft ist - oder dass er eigentlich nicht bei dem Konzert hätte sein dürften.
Djokovic hat die Diskussion erwartungsgemäß nicht kommentiert.
Djokovic steht vor Zwickmühle
Wie auch immer Djokovic‘ tatsächlicher Impfstatus ist: Er steht vor einem Dilemma. Seine Linie „Mein Körper, meine Privatsache“ kann er nicht aufrechterhalten, wenn er in Melbourne mitmischen will.
Er müsste Farbe bekennen und riskieren, die eine oder andere Seite zu verprellen - oder sich aus der Situation herausstehlen: Kurzfristige Absage aus vorgeschobenen Gründen, hoffen, dass sich die Pandemie entspannt und das Thema in dieser Form nicht nochmal aufkommt.
Djokovic hätte damit einen Eklat vermieden. Aber man muss auch wissen: Djokovic ist bei weitem nicht der einzige erklärte auf der Tennis-Tour, der von einer Kultur der Impfskepsis geprägt ist.
Zahlreiche Profis der WTA- und ATP-Tour sind nach Angaben der Spielerorganisationen bislang nicht geimpft - bei den Frauen sind es rund 40 Prozent, bei den Männern 35.
Das Thema ist heikel und wer sich in der Szene umhört, stößt auf diverse Protagonisten, die es nicht kommentieren wollen.
Die strengen Regeln in Australien und die öffentliche Aufmerksamkeit für das Major-Turnier dürften auch jenseits des Falls Djokovic vieles ans Tageslicht bringen, was sich im Moment noch im Verborgenen abspielt.